„Ensemble“-Preis für mutige Recherche und unvoreingenommenen Blick

Im Studio Eins des Saarländischen Rundfunks wurde am 07.03.2013 zum ersten Mal der Journalisten-Nachwuchspreis „Ensemble“ verliehen. Er ist mit 8.000 Euro dotiert und hat das Ziel, zu einem besseren und differenzierteren Verständnis beizutragen und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken.

In der Kategorie Multimedia ging der Preis an die Lern-Redaktion 2012 der Johannes Gutenberg Universität Mainz für das Projekt www.360Grad-Mainz.de. „Die Video-, Audio- und Textbeiträge behandeln nicht nur die üblichen Themen und die unterschiedlichen Blickwinkel machen dieses Projekt interessant und preiswürdig“, heißt es in der Begründung der Jury.

Den ersten „Ensemble“-Preis in der Kategorie Audio bekam die Hörfunk-Journalistin Tilla Fuchs für das SR-Feature „Und dann war das ganze Leben weg“ über die Brände in Völklingen und die Folgen. Nach Auffassung der Jury bearbeitet sie das Thema „spannend, mit viel Emotion und dennoch mit der nötigen Distanz“, den Preis gibt es für „gute Recherche, kritisches Hinterfragen und Aufklärung“.

In der Kategorie Text ging der erste „Ensemble“-Preis an den SZ-Journalisten Johannes Kloth für sein „Dossier zu ungeklärten Anschlägen in Völklingen“. „Ob die offenen Fragen zu den Bränden in Völklingen jemals beantwortet werden, wissen wir nicht“, heißt es in der Begründung der Jury. „Sicher ist aber, dass Kloth durch seine Beiträge die Politik und die Öffentlichkeit für die Themen der MigrantInnen, die Probleme des bestehenden und wachsenden Rechtsextremismus sensibilisiert hat“.

In ihrer Laudatio erklärte die Journalistin und Buchautorin Hatice Akyün per Videoschalte aus Berlin: „Mutiger Journalismus ist wichtiger denn je, ihn als Qualitätsmaßstab aus der Masse herauszuheben, ist Motivation und Ansporn für uns alle, genauer hinzusehen und uns bei der Arbeit mehr nach der Decke zu strecken.“

 

Die Preisträger 2013

Kategorie „Multimedia“
Das Projekt 360 Grad Mainz wurde von Studierenden am Journalistischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz konzipiert und umgesetzt. Im vierten und letzten Semester des Masterstudiengangs Journalismus absolvierten die Macher der Website die Lehrveranstaltung „Online-Lehrredaktion“. Darin wird seit dem Jahr 2010 jährlich ein Online-Angebot mit unterschiedlichen Schwerpunkten erarbeitet.
Wir haben uns für den Themenkomplex Migration und Integration entschieden, da die Medien unserer Ansicht nach oft und viel über Integrationsproblematik berichten. Gerne in der Berichterstattung vergessen wird dabei die Bereicherung, die Migration mit sich bringt.
Unser Angebot sollte möglichst multimedial und interaktiv sein, die User miteinbeziehen und fordern. Exemplarisch an der Stadt Mainz zeigen wir, wie vielfältig Migranten den Alltag und das Gesicht einer Stadt mitbestimmen.
Link: 360 Grad Mainz

Kategorie „Audio“
Tilla Fuchs wurde 1978 in Saarbrücken geboren und zog zum Literaturstudium nach Frankreich. Nach ihrer Maîtrise de Lettres Modernes und einem Master als Kulturjournalistin, realisierte sie ihre ersten Radioreportagen für die ARD aus Paris. Seit Abschluss ihres Volontariats beim Saarländischen Rundfunk 2009 ist sie als Feste Freie Feature-Autorin, Moderatorin und Reporterin bei SR2 tätig und als Pendlerin mit Mikrofon sowohl in Saarbrücken als auch in Frankreich zu Hause. Als Feature-Autorin beschäftigt sie sich mit (nicht nur französischen) Themen aus Gesellschaft und Literatur.
Link: „Und dann war das ganze Leben weg“ (SR)

Kategorie „Textbeitrag“
Johannes Kloth, geboren 1980 in Freiburg/Brsg., ist seit 2010 Redakteur der „Saarbrücker Zeitung“. Während seines Studiums der Historisch orientierten Kulturwissenschaften an der Universität des Saarlandes schrieb er als freier Journalist für regionale und überregionale Zeitungen, vorwiegend über Kultur- und gesellschaftspolitische Themen. Nach dem Volontariat bei der „Saarbrücker Zeitung“ arbeitete er zunächst zwei Jahre im Ressort Region/Landespolitik. In dieser Zeit veröffentlichte er unter anderem mehrere Geschichten zum Thema Rechtsextremismus. Seit 2012 ist er Redakteur im Ressort Kultur.
Link: Dossier zu ungeklärten Brandanschlägen in Völklingen (SZ)

 

Die Begründung der Jury 2013
Vorgetragen von der Jury-Vorsitzenden Ikbal Berber -es gilt das gesprochene Wort:

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin mir sicher, würde der Stifter jetzt unter uns weilen, wäre er stolz auf die Nachwuchsjournalistinnen und -Journalisten und ihre Beiträge, die sie bei uns eingereicht haben.
Eigentlich ist Qualitätsjournalismus heute – im digitalen Zeitalter, in der Zeit telegrammartiger Kommunikation durch Handys, Facebook u.Ä. nicht sehr im Trend. Den intensiv recherchierenden Journalisten, die aufklärende und bohrende Journalistin kennen wir eher aus guten Krimis und Thrillern als aus einigen Medien. „Wasch mich, mach mich aber nicht nass“-Beiträge oder reißerische, oberflächliche Boulevard-Beiträge dominieren eher den Medienalltag.  Es ist die Aufgabe der Medienmacher- Geschäftsführer, Manager und Verleger für Journalistinnen und Journalisten Strukturen zu schaffen, in denen Qualitätsjournalismus möglich ist.
Gute Journalistinnen und Journalistenschauen genau hin, kratzen an der Oberfläche, tauchen in die Tiefe, verstehen und erklären so, dass jede und jeder es verstehen kann. Ja, auch mitfühlen kann, aktiv werden und teilhaben kann an dem, worüber berichtet wurde. Somit tragen auch die Journalistinnen und Journalisten zur lebendigen Demokratie bei. Umso wichtiger ist es, den Nachwuchs mit journalistischem Idealismus, Leidenschaft, Mut, Ausdauer und Engagement wahrzunehmen und ihn zu unterstützen. Wir glauben, dass diese jungen Journalisten und Journalistinnen nicht automatisch Platz eingeräumt bekommen in der Zeitung oder in den (Haupt-) Sendezeiten in Funk und Fernsehen für ihre Beiträge. Vor allem dann nicht, wenn das Thema mit Migrantinnen und Migranten zu tun hat und über das Folkloristische hinaus geht. Sie müssen bei den Verantwortlichen nicht selten Überzeugungsarbeit leisten, ihre Beiträge einbringen zu können. Wir würdigen auch diese Anstrengungen und das Durchsetzungsvermögen.
Aber auch da hat eine positive Entwicklung stattgefunden. Als ich 2011 für eine Veranstaltung zum 50-Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei in den Archiven von SR und SZ recherchierte, wunderte ich mich über die geringe Anzahl der Beiträge in den sechziger und siebziger Jahren. Im Vergleich zu dieser Zeit wird heute viel mehr und auch vielfältiger über die Einwanderung und deren Folgen berichtet.
Diese Feststellung lässt hoffen, dass in nicht all zu ferner Zukunft noch mehr Beiträge in den Medien für mehr Frieden und bessere Verständigung zwischen Majorität und Minorität sorgen. In diesem Sinne trägt Bernd Weiland durch seine Stiftung auch nach seinem Tode zur Weiterentwicklung von mutigerem Journalismus und zur besseren Verständigung in der Gesellschaft bei. Wir, die Jurymitglieder fühlen uns geehrt und sind froh, mit dieser Aufgabe betraut worden zu sein.

33 Beiträge wurden in vier Kategorien eingereicht. Davon 21 in der Kategorie Text, sechs bei Video, fünf in der Kategorie Audio und einer bei Multimedia.

Wir haben unsere Auswahl nach folgenden Kriterien getroffen:

  • Rechercheaufwand
  • handwerkliche Umsetzung (je nach Medium)
  • Grad des Beitrags zum besseren und differenzierteren Verständnis der Thematik
  • kritisches Hinterfragen des Themas (notwendige Mischung aus Empathie/Distanz)
  • Nachhaltigkeit
  • Wecken von Emotionen/Emotionalität
  • neue, moderne Aspekte des Themas
  • Spannung
  • Authentizität

Mindestens in einem der eingereichten Beiträge war der Text unpassend bebildert. Da dies selten in der Verantwortung des Autors liegt, floss die Bebilderung nicht in die Bewertung ein.  Trotzdem möchten wir bei dieser Gelegenheit die Verantwortlichen bitten mit der Wahl der Bilder zu den jeweiligen Beiträgen sensibler  umzugehen. Als Beispiel möchte ich das Bild mit der „Kopftuchfrau“ nehmen, wenn es um Berichterstattung über Migrantinnen und Migranten  geht. Selbstverständlich gibt es sie auch! Und sie gehören auch zu uns und sie sind ein Teil unserer Gesellschaft. Aber wenn zu diesem Thema immer nur die Kopftuchfrau als Bild genommen wird, dann entsteht Stigmatisierung. Dann entstehen Bilder in den Köpfen der Leserinnen, Leser und der Zuschauerinnen, Zuschauer, die die Vielfalt ausblenden: es gibt sie nicht, DIE muslimische Frau. Mädchen aus islamischen Familien werden in die Lage gebracht, sich zu erklären und zu rechtfertigen, wenn sie kein Kopftuch tragen. Helfen Sie dabei, die Vielfalt in der Gesamtgesellschaft aber auch unter den Zugewanderten transparenter zu machen, in dem Sie auch die Bilder bewusster auswählen.

In der Kategorie Multimedia erhielten wir einen Beitrag der Studierenden des journalistischen Seminars der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.  Auf der Web-Seite www.360Grad-Mainz.de wurde das Thema „Die ganze Welt in einer Stadt“ bearbeitet.
Die unterschiedlichen Blickwinkel zu dem Thema im genannten Beitrag- in den Beiträgen- machen diese Bewerbung interessant. Die Video-, Audio- und Textbeiträge behandeln nicht nur die üblichen Themen, wie das Essen, Feste und Geschäfte,  sondern auch unterschiedliche Einwanderergruppen nach rechtlichem Status – vom Asylbewerber bis zur Studentin – aber auch unterschiedliche Generationen der Arbeitsmigration der sechziger Jahre. Die „Lern-Redakteurinnen und -Redakteure“ haben sich mit dem kulturellen Leben in dem Beitrag „Integration so ein Theater“ auseinandergesetzt aber auch mit den Lebensumständen in Asylbewerberheimen und denen der Studierenden. Der politische und rechtliche Hintergrund zu dem jeweiligen Punkt wurde mit Filmen und Textbeiträgen erläutert.

Bei den fünf Beiträgen in der Kategorie Audio fiel uns die Entscheidung deutlich schwerer. Interessant ist in dieser Kategorie, dass unterschiedliche, in den Medien selten besprochene Themen, wie Sexualität, Homosexualität, binationale Ehen bearbeitet werden. Dennoch haben wir uns für den Beitrag „ und dann war das ganze Leben weg“ von Tilla Fuchs entschieden.
Tilla Fuchs erinnert (in 2012) an die Brände in Völklingen vor 12 Jahren. So viele Jahre später geht sie der Frage nach, was mit den Opfern passiert ist. Ein Zeichen des Wahrnehmens, der Zuwendung. Spannend, mit viel Emotion und dennoch mit der nötigen Distanz bearbeitet sie das Thema. Durch viele O-Töne schafft sie Raum für die Gefühle der Opfer und Zeugen, ohne deren Aussagen als die absolute Wahrheit darstellen zu wollen. Ein Ausschnitt:
„Die Dienststelle der Völklinger Feuerwehr liegt keine 900 Meter von der Poststraße 41 entfernt. Die der Freiwilligen Feuerwehr keine 500 Meter. Haben die Löschzüge wirklich über 30 Minuten gebraucht, bis sie am Einsatzort eintrafen? Oder erschien Ari B. die Zeit so entsetzlich lang, weil er den Menschen oben im zweiten Stock nicht helfen konnte? Fest steht, dass er und seine beiden Freunde Zeit hatten, die sieben Kinder der Familie D. zu retten, mehrfach bei der Feuerwehr anzurufen – und dass Fatma T. bei Eintreffen der Rettungskräfte nicht mehr am Fenster im 2. Stock stand.“
Sie recherchiert und hinterfragt die Wege der Justiz- und Sicherheitsbehörden und gibt Beispiele zur Kuriosität der Bürokratie und deren Auswirkungen auf die Betroffenen.
„Niyati T., allein und ohne Wohnung mit den Kindern überfordert, schickt Murat und Yasemin zu den Großeltern in die Türkei. Als er sie einige Monate später zurückholen will, ist es zu spät: Die deutschen Behörden verweigern die Wiedereinreise in die Bundesrepublik.“
Dafür bekommt Yasemin im September 2011ein Schreiben des saarländischen Landesamts für Soziales, über Unterhaltsanspruch der kranken Mutter, und weil sie nicht auf den Brief reagiert, im Januar 2012 eine Mahnung: Das Schreiben landet im Briefkasten eines sechzehnjährigen Mädchens in der Türkei, dass des Deutschen kaum mehr mächtig sein dürfte – nachdem ihm im Alter von fünf Jahren die Wiedereinreise nach Deutschland – wo seine beiden Eltern leben – verweigert wurde.
Kritisch hinterfragt, aufklärend, gut recherchiert. Sehr gut ++++

Auch die Vielfalt der Themen in den Textbeiträgen hat uns beeindruckt. Eine Bewerbung hat die Jury mit ihrer Nachhaltigkeit, der differenzierten Darstellung, Kontinuität, ja fast „Sturheit“ auf dem Wege der Wahrheitsfindung so begeistert, dass sich die Mitglieder einstimmig für diese Bewerbung entschieden haben. Das Thema ist dasselbe wie bei Tilla Fuchs: Die Brände in Völklingen.
Johannes Kloth hat in seinem „Dossier zu ungeklärten Anschlägen in Völklingen“ in sehr vielen Beiträgen die Brände in Völklingen umfassend bearbeitet. Vom 30.11.2011 bis zum Bewerbungszeitpunkt am 30.08.2012 befasste er sich intensiv mit dem Thema. Berücksichtigt wurden die Ansichten aller Betroffenen. Die Beiträge sind spannend geschrieben. Kloth recherchiert im Innenministerium, bei der Staatsanwaltschaft, spricht mit den mittelbar und unmittelbar Betroffenen in Völklingen, mit Verantwortlichen der Landespolitik, der Kommunalpolitik, mit dem Rechtsanwalt der Opfer, mit der Polizei und vielen anderen. Durch seine Hartnäckigkeit erreicht er, dass das Thema aktuell bleibt. Ob die offenen Fragen zu den Bränden in Völklingen jemals beantwortet werden, wissen wir nicht. Sicher ist, dass Kloth durch seine Beiträge die Politik und die Öffentlichkeit für die Themen der MigrantInnen, die Probleme des bestehenden und wachsenden Rechtsextremismus sensibilisiert hat. Andererseits auch den MigrantInnen das Gefühl vermittelt, „wir haben ein Ohr für Euch“.

  • gut recherchiert
  • umfassend bearbeitet
  • spannend erzählt
  • kritisch hinterfragt
  • Ansichten aller Betroffenen berücksichtigt
  • Kontinuität

Fazit: Sehr gut ++++

Leider konnten wir unter den sechs Videobeiträgen keinen finden, der unseren Kriterien entspricht. Entweder war das Thema verfehlt oder sie entsprachen nicht den von uns festgelegten Kriterien. Wir hoffen bei der nächsten Ausschreibung auf eine größere Auswahl an Beiträgen auch in dieser Kategorie. Somit wurde das Geld in der Kategorie „Video“ nicht verausgabt und fließt in den nächsten Wettbewerb, auf den wir alle schon jetzt sehr gespannt sind.

 

Die Laudatio 2013
Gehalten von der Journalistin und Buchautorin Hatice Akyün und per Video aus Berlin eingespielt

Liebe Preisträger, sehr geehrte Jurymitglieder, meine sehr verehrten Damen und Herren,
entschuldigen Sie bitte, dass ich heute Abend nicht persönlich vor Ihnen stehen kann. Aber zum Glück gibt es ja diese wunderbare Technik, die es mir ermöglicht, zwar nicht leibhaftig, aber zumindest virtuell, aber nicht weniger mit dem Herzen heute Abend dabei zu sein.
Ein Freund sagte einmal zu mir, dass ich daran merken könne, dass ich alt werde, wenn nicht mehr ich die Preise bekäme, sondern die Preise übergeben dürfe. Ich gestehe, dass ich ein wenig zusammengezuckt bin, als ich gefragt wurde, ob ich für den Nachwuchsjournalistenpreis Ensemble die Festrede halten möchte.
Ja, es stimmt, zu meiner Nachwuchsjournalistenzeit gab es weder das Internet noch hatten wir Computer, mit denen wir in Sekundenschnelle unsere Beiträge versenden konnten. Zu meiner Zeit schrieben wir noch auf Schreibmaschinen. Ob früher alles besser war, kann ich nicht sagen. Was ich weiß ist, dass es heute viel mehr Möglichkeiten gibt, Journalismus zu machen. Aber ich muss auch gestehen, dass es selbst uns Profis schwer fällt, in der Vielzahl von Meldungen, Nachrichten, Sensationen und „Sensatiönchen“ den Überblick zu behalten und uns auf Themen zu konzentrieren, die mehr sind als Eintagsfliegen, die helfen, Orientierung zu geben, die den Dingen auf den Grund gehen und den Schleier des Nebels heben.
Zum Beispiel die Webseite 360 Grad-Mainz, der Gewinner in der Kategorie Multimedia. Der Reporter Cordt Schnibben sagte einmal: Eine gute Reportage ist wie ein Labyrinth ohne Fenster und Türen, sie hat mich hereingelockt und gibt mir nur eine Chance, ihr zu entkommen, am Ende des letzten Satzes.
Das sagte er über Reportagen. Aber ich muss gestehen, dass es mir genau so erging, als ich das erste Mal auf der Webseite 360 Grad-Mainz war. Ich bin regelrecht in einen Klickwahn geraten. So fesselnd waren die persönlichen Geschichten, so informativ die Fakten. Ich konnte mich kaum von der Seite lösen. Cordt Schnibben sagte auch: Gute Reportagen fangen die Zeit ein, sehr gute Reportagen frieren die Zeit ein, und wenn man sie auftaut, Jahre später, dann sind sie immer noch so wahr, wie sie waren, als sie geschrieben wurden. Mit Verlaub, Herr Schnibben, ich muss etwas hinzufügen. Das gilt auch für 360 Grad-Mainz.
Wie alle guten Dinge, ist die Idee dahinter einfach. Man sagt was ist, mit einem unverstellten Blick, ohne vorgeprägte Meinung, ohne Deutung. Was dann dabei herauskommen kann, ist das Portrait einer bunten, lebendigen Stadt, die Vielfalt beschreibt, die auf einzelne Menschen eingeht und sie in den gelebten Realitäten, die nebeneinander und trotzdem miteinander stattfinden, abbildet. Die Beiträge sind kurz, prägnant, informativ und was mir besonders positiv aufgefallen ist, sie reden nicht von denen und uns, sondern beschreiben lauter bunte Einzelteile als ein „Wir“. Multikulti ist nicht tot, wie es ein Berliner Bezirksbürgermeister uns glauben lassen will, es ist schon längst Realität und formt etwas Neues, was die Wissenschaft gerne als „Hybrid“ bezeichnet und ich und viele andere als etwas ungeheuer Bereicherndes und Lebendiges erleben. 360 Grad-Mainz lädt ein, sich einzulassen, überwindet Unsicherheit und Distanz, schafft Nähe und motiviert zur Neugier durch die Kunst, uns die Schere im Kopf, das Fremde von vorneherein immer nur unter dem Problemaspekt zu sehen, komplett auszublenden. Das ist erfrischend, lebendig und nachbarschaftlich – im besten Sinne.
Leider – und auch das ist eine der traurigen Wahrheiten – herrscht in diesem Land noch viel zu oft ein Klima der Unsicherheit, der Bedrohung, der Kluft, die von vielen auch nur allzu gerne genutzt wird, um Distanzen aufrecht zu erhalten.
Johannes Kloth, Gewinner in der Rubrik Textbeitrag, hat mit seinem „Dossier zu ungeklärten Anschlägen in Völklingen“ nicht den Finger in die Wunde gelegt, er hat die Faust in eine dunkle Höhle der Verdrängung und Ignoranz gestoßen. Hartnäckig, beständig, bohrend, hat er die Opfer, Politiker, Staatsanwaltschaften, Anwälte der Betroffenen, Polizei und Feuerwehr befragt. Herausgekommen ist ein beklemmendes Bild, das aufzeigt, wie Behörden in völliger Selbstverständlichkeit bis hin zur Selbstgefälligkeit die Brände gegen Wohnhäuser von Türken und Kurden unbedingt und ausschließlich ohne jedweden rechtsradikalen Hintergrund betrachteten. Er zeigt auf, mit welcher Zwanghaftigkeit nicht sein soll, was nicht sein darf.
Ohne zu werten, beschreibt er einen blinden Fleck in der öffentlichen Wahrnehmung, der in seiner Sturheit fast schon die Grenze der Fahrlässigkeit zum bewussten Vorsatz erkennen lässt. Dank seines Einsatzes, hat er die Vorgänge um die ungeklärten Brände in Völklingen unter großen Widerständen ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt und so durch seine Berichterstattung mustergültig die Notwendigkeit einer unabhängigen freien Presse aufgezeigt.
Tilla Fuchs, Gewinnerin in der Rubrik „Audio“, hat sich in ihrem Rundfunkfeature „Und dann war das ganze Leben weg“ dem gleichen Thema gewidmet. Was Johannes Kloth in aufwendiger Recherchearbeit als Mosaik zu Papier gebracht hat, wurde von Tilla Fuchs im Zusammenhang komponiert. Ihre Details, wie den Originalton des vorbeiziehenden Nachbarn, der seine türkischen Mitbürger „Kanaken“ betitelt. Das Verlesen des Briefes des Sozialamtes, an die nun in der Türkei lebenden Tochter, die man als Minderjährige aufforderte, ihre Einkommensverhältnisse offen zu legen, um für die Pflegekosten der Mutter aufzukommen. Seit dem Brand im Jahre 2000 konnte sie ihre Mutter nicht sehen, da man den Kindern die Wiedereinreise nach Deutschland verweigerte. Die Mutter in Folge des ungeklärten Brandes, ein Pflegefall, beschreibt Tilla Fuchs nüchtern das Klima im Umgang mit den Opfern.
Beide Preisträger, jeder in seinem Medium, werten nicht. Sie fügen Teile zusammen, Teile, die man übersehen hat oder vielleicht übersehen wollte. Hierzu passt das Video der NSU-Mörder, das ausgerechnet in Völklingen an die Moschee geschickt wurde und stellt den Zusammenhang mit dem NSU-Trio insofern her, als dass der Umgang angesichts potenzieller Straftaten gegen Bürger mit Migrationshintergrund, was einen möglichen rechtsradikalen Hintergrund angeht, geradezu augenscheinlich wirkt.
Es ist beiden Preisträgern zu verdanken, dass unsere demokratische Gesellschaft dank solcher Beiträge nicht zur Tagesordnung übergehen kann. Es ist dem Redaktionsteam von 360Grad-Mainz zu verdanken, dass Multikulti selbstverständlich eine Bereicherung ist. Es ist allen drei Preisträgern zu verdanken, dass wir durch sie erinnert werden, mit offenen Augen durch unsere buntere, vielfältigere und vielleicht auch anstrengendere Welt zu gehen.
Und es ist den Machern von „Ensemble“ zu verdanken, dass man ein solches Engagement würdigt. Mutiger Journalismus ist wichtiger denn je, ihn als Qualitätsmaßstab aus der Masse herauszuheben, ist Motivation und Ansporn für uns alle, genauer hinzusehen und uns bei der Arbeit mehr nach der Decke zu strecken.
Ich danke den Preisträgern und danke auch dafür, solche tollen Arbeiten würdigen zu dürfen. Sich ein wenig in diesem Glanze zu sonnen, macht mich auch ein wenig stolz. Vielen Dank!

Die Rede der SJV-Vorsitzenden Ulli Wagner – es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,
ich bin froh, stolz und gerührt, dass wir hier heute zusammengekommen sind, um zum ersten Mal den Journalisten Nachwuchspreis ENSEMBLE zu verleihen. Froh, stolz und gerührt, weil dies ein ganz wichtiger Preis zum richtigen Zeitpunkt ist. Froh, stolz und gerührt aber auch, weil wir damit das Vermächtnis eines lieben und geschätzten Kollegen erfüllen: Bernd Weiland. Er war das, was wir heute so gerne als Reporter-Urgestein bezeichnen, der rasende Reporter, der Alleskönner, der über die bedrohten Arbeitsplätze in den Röhrenwerken in Bous genauso berichtet hat wie über die Eröffnung des Saarbrücker Bauernmarktes, die Gemeinderatssitzung in Weiskirchen oder die Probleme von Flüchtlingen, die im Saarland eine neue Heimat gesucht haben. Oder über den Bürgerkrieg in Sri Lanka. Denn die Insel im Indischen Ozean war neben dem Saarland zu seiner zweiten Heimat geworden. Dort wollte er einen Teil seines so genannten Lebensabends verbringen, den er aber leider gar nicht mehr richtig genießen konnte. Dort wollte er auch ein Projekt fördern, das bei uns unter dem Label „Hilfe zur Selbsthilfe“ laufen würde. Dafür hatte er Teile seines Erbes vorgesehen. Der andere Teil sollte einen Preis für Nachwuchs-Journalisten auf den Weg bringen, einen Preis, der ein ganz konkretes Ziel verfolgen sollte: die Integration zu fördern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Dabei dürfen, das hat Bernd ausdrücklich in seinem Testament so verfügt, nur Beiträge berücksichtigt werden, die sich positiv zu Ausländern und Integration aussprechen oder sich kritisch gegen Ausländerfeindlichkeit und mangelnde Integrationsbereitschaft wenden.
Ich gestehe, wir haben auch schon mal geschmunzelt, über Bernds Stiftungsträume. Unbestritten ein hehres Ziel, aber „wo will er denn das Geld hernehmen?“ fragten wir uns. Und als Bernd kurze Zeit nach seinem aktiven Reporter-Dasein beim SR starb, schienen auch seine Träume vom Selbsthilfeprojekt Rankema in Sri Lanka und vom Journalisten-Nachwuchspreis zur Förderung der Integration gestorben. Anfangs fragten wir uns noch, ob da wohl was käme. Aber als es dann kam, in Form einer konkreten Anfrage eines Rechtsanwaltes, der zugleich Nachlassverwalter von Bernhard Weiland und Gründer der gleichnamigen Stiftung war, da hatten wir den Traum des Kollegen schon fast vergessen.
Umso schöner ist es nun, dass wir uns heute hier versammelt haben, um – im Sinne von Bernd – die ersten Preise an Nachwuchs-Journalistinnen und Journalisten zu verleihen. Ausgewählt von einer Jury mit hoher journalistischer und integrativer Kompetenz – habt dafür ganz herzlichen Dank!!! Auch deshalb bin ich froh, stolz und gerührt. Und ich bin mir sicher, es geht nicht nur mir allein so.
Bernd wusste, was das heißt: anders sein  – er wusste es aus eigener Erfahrung, als Kind, als Jugendlicher und als Erwachsener. Er wusste, wie sehr einen das bedrückend kann, wie einsam es einen machen kann und er wusste auch, dass es doch das natürlichste der Welt ist, anders zu sein: wir sind alle anders und doch alle gleich. Tous egaux et tous differents – das war vor vielen Jahren der treffende Slogan einer Anti-Rassismus-Kampagne der EU. Diese schlichte Wahrheit hat mich damals sehr beeindruckt. Ähnlich, wie Jahre später ein Erlebnis in Sri Lanka,  Bernds zweiter Heimat. Wir waren für die SR-Flutopferaktion unterwegs und haben uns weit in den Nordosten der Insel vorgewagt, dorthin, wo kaum Touristen hin kamen,  dorthin, wo die größten Tsunami-Schäden waren. Marie-Elisabeth Denzer und ich: zwei kräftige, hellhäutige Frauen – eine Sensation, nicht nur für die Kinder dort. Aber die trauten sich, dieses Anders sein auf die Probe zu stellen, die wollten wissen, wo das her kam: dieses Anders-Sein. Sie fragten höflich und immer lächelnd mit Händen und Füßen gestikulierend, ob sie uns denn anfassen dürften und dann machten sie dieses hier: den Finger nass, über den Arm rubbeln und gucken, ob sie diese weiße Schuhcreme nicht endlich abkriegen von unserer Haut.
Jahre vorher hatte ich, ähnlich fasziniert, die jüngste Tochter meiner niederländisch-indonesischen Freundin beim Spielen beobachtet. Die Fünfjährige unterhielt sich mit ihrem Teddy – in breitestem Saarländisch – worin auch sonst? Sie ist hier geboren, das ist ihre Vatersprache – in dem Fall. Dass sie anders ist als andere, als die Mehrheit, hat sie erst später zu spüren bekommen, aber sie hat zum Glück ein sehr sonniges Gemüt!
Und wenn sie WIR sagt, dann meint sie auch WIR, dann schließt sie damit niemanden aus. Aber genau das erfahren Menschen mit Migrationshintergrund immer wieder. Hier ein literarisches Beispiel. Es stammt aus dem jüngsten Roman von Elisabeth Herrmann, mit der Hauptfigur Sanela Breara, einer jungen, aus Kroatien stammenden Polizistin.
„Sanela fühlte sich ausgeschlossen aus diesem „Wir“. Es fühlte sich an wie ein kleiner Stich in der Brust. Sie erinnerte sich an viele dieser Nadelstiche. Sie hatten begonnen, als sie in diesem Land angekommen war, in dem es keinen Krieg geben sollte und keine Serben (letzteres sollte sich als unwahr herausstellen), in dem keine Landminen detonierten (wahr) und in dem man kleine Mädchen, die noch Jahre bei jedem Silvesterböller zitternd hinter das zerschlissene Sofa im Flüchtlingsheim krochen, mit offenen Armen empfangen würde (die größte und deshalb auch am schwersten zu verzeihende Lüge, die ihr Vater ihr jemals aufgetischt hatte). Ein „wir“ für Sanela gab es allenfalls noch in den engen Zimmern und den Gemeinschaftsküchen der Flüchtlingscontainer. Es hörte auf, als ihr Vater und sie eine kleine Wohnung in Tempelhof zugeteilt bekamen und Sanela in die Schule kam.“
„WIR“ – das ist ein magisches Wort: WIR kann einbeziehen oder ausgrenzen, WIR kann die offene Hand sein oder das geschlossene Visier, WIR kann Zukunft geben oder verweigern.
Wir im Saarland, sagen wir so gerne – mich eingeschlossen – hier oben auf dem Halberg, aber auch da unten in der Gutenbergstraße. Wen meinem wir damit eigentlich, mit diesem WIR?
In den Medien und mit den Medien produzieren und verstärken wir Bilder. So, wie sie helfen können, Urteile zu bilden, können sie auch dazu beitragen, Vorurteile zu festigen: Strömen Zuwanderer nach Europa, oder wandern Menschen ein? Tragen Frauen muslimische Bademoden, oder findet ein „Burka-Schwimmen“ statt? Interessieren sich Migrantinnen nicht für Politik, oder interessieren sich die Parteien nicht für Migrantinnen?
Vorurteilsfreie Berichterstattung wird es vermutlich nie geben – wer von uns ist schon vorurteilsfrei? Vorurteilsbewusste Berichterstattung wäre aber schon mal ein großer Schritt. Ein Anfang. Ein Bekenntnis: zum WIR.
Wir leben in einer  Gesellschaft, die immer vielfältiger wird, in der es immer mehr Interessen, Kulturen, Lebenswelten gibt. Können wir uns da noch erlauben, Berichterstattung nur aus Sicht der vermeintlichen Mehrheit zu organisieren. Gehört zu einer vielfältigen Gesellschaft nicht auch eine multiperspektivische Berichterstattung – und ist die somit nicht auch öffentliche Aufgabe der Medien?

Ist es nicht an der Zeit,

  • über die eigene Sichtweise, die eigene Sprache, die eigenen Bilder zu reflektieren
  • neue Wege für realistische und zugleich gerechtere Berichterstattung zu finden
  • Diversitykompetenz – also Kompetenz in der Vielfalt und Andersartigkeit der Individuen in unserer Gesellschaft – als Qualifikationsmerkmal zu erkennen. Auch im journalistischen Bereich!

Und ist es nicht an der Zeit, die Chancen der Vielfalt zu nutzen – auch für die Medien, für neue Projekte, neue Talente und auch ein neues Publikum, neue User – auf welchem Verbreitungs-Weg auch immer?
Ich denke ja. Und ich gehe noch weiter: Ich bin davon überzeugt: multiperspektivische Berichterstattung ist auch ein Gebot journalistischer Professionalität. Und sie ist unsere Chance für die Zukunft. Vielen Dank!

Die Rede des Intendanten des Saarländischen Rundfunks, Herrn Prof. Thomas Kleist – es gilt das gesprochene Wort

Liebe Familie Weiland, verehrte Preisträger und Juroren, sehr geehrte Frau Wagner, lieber Peter Stefan Herbst, meine sehr verehrten Damen und Herren,
zunächst ein herzliches Willkommen zur Geburtsstunde eines neuen Journalistenpreises auf der europäischen Landkarte, dem ENSEMBLE-Preis. Warum ein neuer Preis, warum jetzt und wieso SR und SZ zusammen? Diese Fragen liegen auf der Hand/Zunge, deren Beantwortung folgt einer inneren Logik und hat viel mit dem schönen Begriff „Ensemble“, also Gemeinsamkeit, zu tun.
Der ENSEMBLE Preis wurde erstmals 2012 im Auftrag der Bernhard Weiland-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem SJV, dessen Vorsitzende Ulli Wagner ich ganz herzlich grüße, dem Saarländischen Rundfunk und der Saarbrücker Zeitung ausgelobt. Ich freue mich, dass mein Kollege und Freund, der Chefredakteur der SZ, Peter Stefan Herbst, ebenfalls unter uns ist.
Der ENSEMBLE Preis ist ein Nachwuchs-Preis für junge Journalistinnen und Journalisten, die sich insbesondere mit dem Alltag von Immigranten und Ausländern der zweiten und dritten Generation in Deutschland beschäftigen. Die Einreichungen können in unterschiedlichen Formen und Medien im Saar-Lor-Lux-Raum veröffentlicht worden sein.
Dieser Nachwuchspreis wird nun 2013 zum ersten Mal und soll danach alle drei Jahre in den Kategorien Video, Audio, Textbeitrag und Multimedia vergeben werden, wenngleich wir in diesem Jahr nur mit drei Kategorien vertreten sind. Vielleicht gelingt es uns ja auch noch, den Turnus von drei auf zwei Jahre zu verkürzen; schau’n mer mal.
Das Preisgeld beträgt insgesamt immerhin stattliche 8.000 Euro.
Wir, die beiden großen Medienhäuser im Saarland, SZ und SR, haben keine Sekunde gezögert, als die Bernhard Weiland-Stiftung und der SJV auf uns zu kamen und uns die Idee dieses Preises erklärten. Er soll für herausragende Beiträge über  Migration und Integration verliehen werden, Themen von höchster Aktualität. Ein Preis, der sich zum Ziel gesetzt hat, zu einem besseren und differenzierteren Verständnis und Miteinander beizutragen. Ein Preis, der den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken hilft und somit auch dem Integrationsauftrag seriöser Medien entspricht.
Integrationswille und Integrationsfähigkeit sind auch Teil des Selbstverständnisses der Saarländerinnen und Saarländer: wir verstehen uns als überzeugte Europäer und sind lebende Beispiele für den funktionierenden und in großen Schritten voran schreitenden Integrationsprozess in der Europäischen Union; wir sind beheimatet in einer Grenzregion, die grenzüberschreitend einen Kultur- und Kommunikationsraum darstellt, eine Muster-Großregion, in der Integration und auch Migration zum Alltag gehören und Teil der Lebenswirklichkeit sind.
Für den Saarländischen Rundfunk kann ich sagen, dass wir, wie wohl kein anderer Sender in Deutschland, die Großregion abbilden und fördern und dieses Selbstverständnis der SaarländerInnen tagtäglich spiegeln und selbst aktiv leben. Genau deshalb passt dieser Preis auch zum SR, weil er auf unsere Großregion SaarLorLux ausgerichtet ist, weil er Integration zum Thema hat und macht und unterstützt.
Dass es beim SR eine lange Tradition hat, Völkerverständigung, friedliches Miteinander und Integrations- und Verständnisbemühungen zu unterstützen, zeigt ein anderes Beispiel eindrucksvoll: der europaweit mit hervorragenden Ruf ausgestattete Deutsch-Französische Journalistenpreis ist im Jahr 1983 vom Saarländischen Rundfunk ins Leben gerufen worden und feiert im Juni dieses Jahres in Paris sein 30-jähriges Bestehen. Dort geht es um die deutsch-französischen Beziehungen im europäischen Kontext. Übrigens ist auch hier die SZ seit vielen Jahren mit an Bord, was einmal mehr unsere Gemeinsamkeiten unterstreicht, trotz gelebtem journalistischem Wettbewerb.
Ich wünsche uns allen, dass der ENSEMBLE-Preis eine ähnliche Erfolgsgeschichte erlebt und wir Partner von ENSEMBLE in 30 Jahren ebenso stolz auf die Wirkung dieses Preises zurück blicken können, wie es beim DFJP heute der Fall ist.
Weitere Motivation für uns, mitzumachen, war die Tatsache, dass der Ensemble Preis auch die Anstrengungen des journalistischen Nachwuchses im Fokus hat. Denn auch der SR legt großen Wert auf die Ausbildung und Förderung des Nachwuchses, wie unsere erfolgreichen Volontärs- und Azubijahrgänge eindrucksvoll  unterstreichen.
Der ENSEMBLE Preis geht auf den verstorbenen saarländischen Journalisten Bernhard Weiland zurück, der sowohl für den Saarländischen Rundfunk als auch für die Saarbrücker Zeitung gearbeitet hat. Ulli Wagner wird uns nachher noch einiges zu seinem Wirken näher bringen. Mit dem Engagement des SR für diesen Preis zeigen wir unsere Verbundenheit mit seinem Anliegen, journalistischen Nachwuchs zu fördern und dem Thema Integration Bedeutung zu verleihen.
Ich wünsche allen Preisträgern, dass der Preis ihnen Motivation ist, in den Bemühungen um Abbildung von Integration und Verständigung, aber auch im Öffentlichmachen von Missständen wie Fremdenhass, Abgrenzung und Ausgrenzung. Ich wünsche dem Preis einen großen Wirkkreis und ein langes Leben und der Bernhard-Weiland-Stiftung viel Erfolg beim Bewahren des Andenkens und des Anliegens von Bernd Weiland.
Herzlichen Dank und ein herzliches Willkommen!


Dankesrede der Preisträger Tilla Fuchs und Johannes Kloth – es gilt das gesprochene Wort

Johannes Kloth: Leider haben wir nicht die Möglichkeit Frau Akyün für Ihre beeindruckende über Video eingespielte Laudatio zu danken, daher richten wir uns an dieser Stelle zunächst an die Anwesenden: Herzlichen Dank, Frau Berber, herzlichen Dank an die gesamte Jury, an den SJV, insbesondere an Ulli Wagner und natürlich an die Bernhard-Weiland-Stiftung, die diesen Preis ausgelobt hat. Es ist toll, dass es eine solche Stiftung gibt, die darum bemüht ist, in Form dieses Preises eine Öffentlichkeit für das so wichtige Thema Integration zu schaffen.

Tilla Fuchs: Möglich ist das, weil der Journalist Bernhard Weiland seinen Nachlass zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt hat.  Das ist alles andere als selbstverständlich. Für uns ist es eine Ehre zu den ersten Ensemble-Preisträgern überhaupt zu gehören. Wir wünschen uns, dass sich der Preis als wichtiger Journalistenpreis etablieren kann.

Johannes Kloth: Ich möchte noch ein paar Worte zu meiner Artikelserie verlieren. Die Recherchen zu den Völklinger Brandfällen – Tilla wird das sicher ebenso ergangen sein – gehören zu den sowohl journalistisch als auch emotional schwierigsten Recherchen, die wir bislang gemacht haben.
Und zwar, weil es unglaublich schwierig war, sich ein Bild davon zu machen, was in Völklingen wirklich passiert ist. Die Aussagen der Opfer widersprachen oftmals komplett denen der Behörden. Wir haben viele und sehr lange Gespräche mit den direkt Betroffenen und anderen Migranten geführt. Das war nicht immer leicht, wir mussten uns das Vertrauen zum Teil regelrecht erarbeiten. Sehr eindringlich und glaubhaft haben uns viele in diesen Gesprächen von ihren fremdenfeindlichen Erfahrungen erzählt. Auf der anderen Seite legten uns die Behörden Statistiken vor, die zeigten, dass das Phänomen „Rechtsextremismus“ in Völklingen nicht stärker ausgeprägt ist als anderswo. Auf Polizei-Seite war in diesem Zusammenhang stets von „Rechtsextremismus“ bzw. „rechtsextremer Szene“ die Rede – als könnten fremdenfeindliche Straftaten nicht auch in unorganisierter Form begangen werden.

Tilla Fuchs: So war es auch bei den Ermittlungen zu jenem Brand in der Völklinger Poststraße am 30. April 2000, der Gegenstand unserer Berichterstattung war.  Johannes – der in der Berichterstattung über die Völklinger Brandfälle in den letzten Jahren bereits eine wichtige und mutige journalistische Arbeit geleistet hat und ich – die ich erst über diesen speziellen Fall in der Poststraße hinzukam – haben uns zu gemeinsamer Recherche zusammengeschlossen. Das war wichtig – Johannes hat es eben angesprochen – weil ebenjene Recherchen sehr belastend und oft auch frustrierend waren: keine Erkenntnis war gesichert. Der Brand, bei dem eine türkische Familie, die Familie T., auseinander gerissen wurde und wegen dem eine Frau, Fatma T., ihr Gedächtnis verloren hat, ist bis heute nicht aufgeklärt. Während der Recherche haben wir weder von der Polizei noch von der Staatsanwaltschaft eine Stellungnahme bekommen. Ja es kam sogar von Seiten der Polizei zu Aussagen wie:„ihr werdet Euch noch wundern mit Eurer These der Fremdenfeindlichkeit, da liegt ihr völlig falsch.“
Schließlich war der Brand in der Völklinger Poststraße dann gar nicht Gegenstand der 2011 wieder aufgenommenen Ermittlungen von Generalstaatsanwalt Sahm, Johannes wird auf sie gleich noch eingehen.
Der Fall der Familie T. fiel also schlicht und ergreifend durch den Rost.
Bleiben die Aussagen der Betroffenen und Zeugen, denen wir bis heute Glauben schenken, Aussagen der türkischen Familie T., über die wir berichtet haben und bleiben die Aussagen des Saarbrücker Rechtsanwalts Hans Lafontaine, der seit mittlerweile 13 Jahren für Familie T. kämpft. Ihm wollen wir an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich danken.

Johannes Kloth: Wir sind der Ansicht, dass in Völklingen etwas gehörig falsch lief und nach wie vor falsch läuft: Wer es wollte, konnte über Jahre sehen, dass rechtsextremistische Symbole, z.B. Hakenkreuze, an Hauswänden und Mauern prangten, und – sofern sie überhaupt entfernt wurden – oftmals wieder auftauchten.  Mittlerweile – und dies ist vielleicht ja auch der Berichterstattung über die Brandfälle zu verdanken – haben wir den Eindruck, dass hier genauer hingeschaut wird.
Ich möchte noch ein paar Sätze über die Ermittlungen verlieren: Im November 2011 wurde unter dem Druck der bundesweiten NSU-Ermittlungen eine Soko im Saarland gegründet, um den Völklinger Brandfällen nachzugehen. Leider erhielten wir während der gesamten Ermittlungszeit kaum Informationen aus den beteiligten Behörden.
Ein Jahr später, im November 2012 – und nicht  wie ursprünglich angekündigt – im Frühjahr wurde eine Pressekonferenz einberufen: In einem Jahr akribischer Detailarbeit seien alle Fälle nochmals aufgearbeitet worden, hieß es. Details der Ermittlungsarbeit wurden vorgelegt. Demnach könne man für 8 von 12 Fälle einen fremdenfeindlichen Hintergrund nun nahezu ausschließen. In 4 Fällen sei dieser nicht restlos auszuschließen.
Es soll hier nicht darum gehen, das Ergebnis dieser einjährigen Ermittlungsarbeit anzuzweifeln. Weder haben wir Gegen-Beweise, noch möchten wir als Unbelehrbare dastehen, die sich in eine fixe Idee verrannt haben.
Und dennoch wissen wir aus Gesprächen der vergangenen Wochen und Monate: Es bleibt bei vielen Betroffenen und Migranten, insbesondere aus der „türkischen Community“, ein Unbehagen.  Einige sprechen hinter vorgehaltener Hand von einseitigen „Alibi-Ermittlungen“ – auch weil sie teilweise, wie sie selbst sagen, von den gleichen Polizisten befragt wurden, die seinerzeit die Erstermittlungen durchführten. Fakt ist jedenfalls: Kein Fall konnte bis heute meines Wissens anklagereif ausermittelt werden.
Kürzlich, Ende Dezember 2012, gab es wieder Vorfälle, die einen fremdenfeindlichen Hintergrund zumindest möglich erscheinen lassen. Zum einen ist der Anbau eines ehemaligen Asylantenheims in Brand gesetzt worden – ein Haus, in dem heute fast ausschließlich Roma-Familien leben. Nur wenige Tage später wurden von Unbekannten die Schaufenster eines türkischen Geschäftsmannes zerstört.  Wir haben für SR und SZ darüber berichtet. Wieder kritisieren Betroffene, die Ermittlungsarbeit verlaufe halbherzig.

Tilla Fuchs: Wir haben uns auch deshalb vorgenommen, weiterhin kritisch zu berichten. An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal ganz herzlich für den Preis bedanken, den wir heute Abend bekommen, nicht zuletzt wird er uns  ermöglichen, weiterhin in Völklingen zu recherchieren. Ich möchte mich auch noch einmal ausdrücklich bei Stefan Miller bedanken, dem Wellenchef von Sr3 Saarlandwelle und bei meinem Kollegen Thomas Gerber für die große Unterstützung die ich bei diesem und bei zahlreichen anderen schwierigen Radiofeatureprojekten von beiden bekommen habe. Wir danken auch dem Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, Peter Stefan Herbst für den Raum, den er dieser Artikelserie gegeben hat.
Bleibt dennoch, an die Programmverantwortlichen des Saarländischen Rundfunks zu appellieren, sich für die lange Form, für das Radiofeature einzusetzen. Und an die Chefredaktion der Saarbrücker Zeitung, der langen Form auch nach wie vor ausreichend Platz zu geben. Bei Sr2 wurde das Radiofeature 2012 bedauerlicherweise nahezu abgeschafft. Es ist zugegeben eine aufwändige Form – aber sie ist, ebenso wie der ausführliche Artikel – unerlässlich zur Darstellung und zum Verständnis unserer Realität. In diesem Sinne: geben Sie Sendezeit und Druckfreiheit.
Dankeschön.

Die Rede des Chefredakteurs der Saarbrücker Zeitung, Herrn Peter Stefan Herbst – es gilt das gesprochene Wort

Liebe Preisträger, sehr geehrte Damen und Herren, das war die tolle Premiere eines tollen Preises- mit einer tollen Preisverleihung und tollen Preisträgern.
Das Thema Integration und die Förderung des journalistischen Nachwuchses sind auch der Saarbrücker Zeitung und mir persönlich sehr wichtig. Deshalb unterstützen wir gerne das Vermächtnis von Bernhard Weiland. 2014 soll der nächste Ensemble-Preis für mutige Recherche und unvoreingenommen Blick ausgeschrieben werden.
Ich darf Sie bereits heute für  2015 zur Preisverleihung in das Forum der Saarbrücker Zeitung einladen. Ich hoffe, dass wir auch in zwei Jahren so tolle Preisträger erleben werden wie heute.
Sie, liebe Preisträger, geben mutiger Recherche, einem unvoreingenommenen Blick und Kreativität in der Umsetzung ihrer Themen ein Gesicht. Wir brauchen mehr junge Kolleginnen und Kollegen mit diesem Mut und diesem Qualitätsanspruch.
Lassen sich mich einige kurze Bemerkungen zum Thema Qualität machen: Müssen wir uns nicht alle selbstkritisch fragen, ob wir immer unsere Stärken ausspielen oder ob wir nicht allzu oft dem Hang zum Infotainment, zur vordergründigen Personalisierung und auch zur Trivialisierung der Politik anhängen.
Damit wir uns recht verstehen: Unterhaltung muss – auch – sein. Das erwarten die Leser, Hörer, Zuschauer, Nutzer heute von den Medien -mehr noch als früher. Dabei darf es jedoch nicht zu einer Verdrängung des Analytisch-Politischen und Hintergründigem zugunsten des Schnellen und Unterhaltsamen kommen. Je höher die Geschwindigkeit im Journalismus, desto eher droht Qualität auf der Strecke zu bleiben. Guter Journalismus braucht Zeit – zur Recherche, zum Nachfragen, zur Gewichtung, zur Kontrolle der Fakten. Schneller und oberflächlicher Journalismus ist Fast Food. Qualitätsjournalismus ist ein hochwertiges Menue. Seine Zubereitung verlangt Zeit, Muße, Gründlichkeit – und gute Arbeitsbedingungen.
Ich bin mir sicher, dass sich guter Journalismus, der sich scharf abgrenzt von Werbung und PR, auf Dauer auch ökonomisch rechnet. Er verlangt einen „langen Atem“, verlangt publizistische Leistung und unternehmerische Kreativität – gerade in der augenblicklichen Medienkrise. Die gründliche Recherche einer motivierten Redaktionsmannschaft bringt zwangsläufig journalistische Glanzstücke hervor, die von Lesern, Hörern, Zuschauern, und Internet-Nutzern honoriert werden – durch Aufmerksamkeit und auch durch Geld. Je mehr Trash das Internet und unjournalistische Kanäle verbreiten, desto größer wird das Interesse an den Beiträgen sein, die aus diesem Einerlei herausragen.
Die heutigen Preisträgen ragen heraus. Ihnen wünsche ich weiterhin viel Mut, behalten Sie ihren unvoreingenommenen Blick und begeistern sie weiter Menschen für die Produkte und Programme für die Sie arbeiten.
Herzlichen Dank.


Fotogalerie

Hier finden Sie die Fotogalerie des SR von der Preisverleihung am 07.03.2013.